Eine leise Unruhe weckt Adonis. Einer nach dem Anderen steht auf und verschwindet. Als Adonis ihnen neugierig folgt, trifft er auf Perithymone. Beim Morgengruß bemerkt sie seine Verwunderung. Ihre Erklärung: morgens kümmert sich jede Amazone zuerst um ihr Pferd. Wenn er zusehen möchte, könnte sie ihm auch gleich das Pferd zeigen, das ab jetzt seine Tage mit ihm teilen soll. Unterwegs treffen sie Marpesia. Adonis möchte wissen, wie sie ihre erste Nacht auf dem Festland verbracht hat. Sie kann die Nachwirkungen ihres unruhigen Schlafs nicht ganz verdrängen.
Dann stößt Melanippe zu den Dreien. Sie erkennt, was ihre Mutter versucht, nicht allzu deutlich auszusprechen. Adonis Bekanntschaft hat sie aber auch jede amazonische Regel mißachten lassen. Die Tochter wird sich immer sicherer. Wie ihre sonst so vorsichtige Mutter formuliert, will sie sich selbst verstehen. Nach dieser Erkenntnis hält Melanippe sich bewußt zurück. Sie möchte es ihrer Mutter nicht noch schwerer machen. Sie konzentriert sich lieber auf den Fremden und seine Reaktionen. Sie bemerkt, daß Adonis spürt, warum Marpesia versucht, ihm und sich noch einmal alle Beschwernisse vor Augen zu führen, die ihn ab jetzt erwarten. Nach seinen Worten und seiner Mimik ist Melanippe überzeugt, daß Marpesias Einladung nicht falsch war. Obschon, sie rüttelte heftig an der Regel der Amazonen, Fremden möglichst wenig Einblick in amazonisches Leben zu geben. Gleich nach der Ankunft mußte der große Rat einberufen werden.
Bisher hatte Melanippe immer Rat bei ihrer Mutter gesucht, zum ersten Mal nimmt sie das Heft in die Hand: Adonis, hast du keine Angst, mit uns mit zu kommen?
Adonis löst seinen Blick von Marpesia: Du meinst, ich könnte mich euch ausliefern? Das mögen Ellenes befürchten. Die meisten ihrer Geschichten schienen mir schon vorher zweifelhaft. Niemand von den Autoren kann euch mit eigenen Augen gesehen haben. Seit ich Marpesia kenne, bin ich überzeugt, das ist alles Propaganda! Noch sicherer bin ich mir, seit ich euch allen begegnet bin.
Das genügt Melanippe. sie fragt lächelnd: Kannst du mir sagen, ob die Wache gestern Abend Männer oder Frauen waren? Sieh dich in Ruhe um. Wer von denen, die heute hier mit uns sitzen, bewachte gestern Abend euer Schiff?
Obwohl alle die Kapuzen zum Essen heruntergezogen haben, fällt Adonis erst jetzt die bunt gemischte Schar auf. Marpesia stellt Adonis vor. Beim Gruß überschlägt er kurz die Anzahl. Alle, die jetzt freundlich antworten, müssen dabei gewesen sein. Sonst begegnet man ihm eher abwartend. Jeder weiß, daß er mitreitet. Ist der große Rat von Themiskyra einverstanden, gibt es noch Gelegenheit genug, ihn kennen zu lernen. Wenn die so vorsichtige Marpesia ihm schon traut, konnte man sich ja nur anschließen.
Seine Gastgeber setzen sich mit ihm mitten zwischen das Gemisch von Frauen und Männern. Nun beobachtet Adonis die Anwesenden bewußter. Um ihn herum wird angeregt in einer fremden Sprache geschwätzt. Hatte er die Anwesenden nicht sofort differenziert erkannt, weil die fremde Sprache ihn abhielt, Sprecher zu betrachten?
Marpesia lacht über das erstaunte Gesicht ihres Gastes: Nun staunst du. Gestern Abend machte die Kapuze alle gleich. Oder haben dich die Geschichten der Ellenes vom Frauenstaat verleitet, nur Frauen in der Wache zu sehen? Du wirst es vielleicht nicht glauben, oder vielleicht doch? …
Adonis beginnt langsam zu verstehen: … hinter mancher Kapuze einer Heilpriesterin verbirgt sich auch ein Mann?
Schmunzelnd erkennt Melanippe das eingeübte Spiel zwischen den Beiden: Ja, das kommt vor. Doch Mädchen fühlen sich eher dazu berufen. Auch bei den Amazones gibt es den natürlichen Unterschied zwischen Männer und Frauen, selbst wenn sie manchmal nicht voneinander zu unterscheiden sind.
Marpesia erkennt, daß ihre Tochter sie begreift: Wenn bei uns Männer so behandelt würden, wie die Ellenes behaupten, gäbe es kein Volk der Amazones.
Melanippe lacht leicht anzüglich: Entgegen der Meinung in Ellas haßt bei uns niemand Männer, nur, was sie als Ellenes manchmal tun! Was uns unterscheidet, wirst du in Themiskyra sehen.
Marpesia hat sich in Griff bekommen: Im Gegensatz zu allen anderen Völkern, besonders zu den Ellenes, dreht sich bei uns nicht alles um Eroes und Pragma. Unsere Vorbilder sind einige unserer Basileies. Die Geschichte von Lysippe macht deutlich, warum wir uns unterscheiden.
Für Adonis sind Helden und Erfolg zweifelhaft und eine Königin sitzt gerade neben ihm: Als Unterschied erlebe ich gerade, wie meine Nachbarn sprechen.
Marpesia lacht fröhlich: Das ist dir bisher nicht aufgefallen? Wenn man von Bekannten begleitet wird, muß man seine Aufmerksamkeit teilen, zwischen ihnen und dem Neuen.
Adonis nickt eifrig: Stimmt, aber noch ahne ich nur, wie anders ihr sein könntet. Obwohl meine Mannschaft einen ganz anderen Eindruck von dir hat, wir sind alle Menschen!
Voller Erinnerung setzt Marpesia fort: Deine Leute verkennen mich. Ich kann nur, was mir die Natur erlaubt. Doch jetzt kommt unausweichlich Neues.
In Vorahnung Adonis nickt noch heftiger: Ich bin gespannt. Trotz allem Interesses war ich – wie meine Leute – bisher auch ein sehr oberflächlicher Beobachter. Und ich kehrte nach jedem Ausflug in die Fremde in die Geborgenheit meines Schiffes zurück.
Das kann Marpesia nachvollziehen: Ab jetzt fehlt dir dieser Rückzugsort. Du bist jetzt der Realität der Anderen ausgeliefert. Deine Vorstellungen werden sich mit jeder Begegnung ändern.
Zuversichtlich sieht Adonis sie an: Daß es mir gelingt, Ausgeliefertsein in Miteinander zu wenden, Du wirst schon dafür sorgen.
Marpesia zwinkert ihm in Erinnerung an die Seefahrt zu: Jedes Volk, das du kennenlernst, spricht eine eigene Sprache. Doch wir müssen uns auf den Weg machen.
Melanippe hat die für andere unauffällige Vertraulichkeit mitbekommen und erhebt sich, als Adonis bestätigt: Wenn ich mehr erfahren will von euch und den Ländern, von denen du erzählt hast, darf ich nicht länger aufhalten.