Dann übernimmt Perithymone die Rolle der Gastgeberin: Zum ersten Mal in meinem Leben haben wir hier Phoinikes zu Gast. Ich freue mich, mehr über Seefahrt, die Reise und von Ephesos zu hören. Nehmt doch bitte alle Platz. Wie ich gerade gehört habe, seid ihr schon einmal hiergewesen. Ihr wißt also, daß man hier ausnahmsweise an Tischen sitzt.
Nachdem jeder einen Platz und den richtigen Nachbarn gefunden hat, fragt die von der Reaktion der Mannschaft beeindruckte Melanippe: Meine Mutter hat mir von eurer Fahrt erzählt. Wie kommt es, daß ein Kauffahrer eine Frau an Bord nahm?
Adonis bestätigt, daß das tatsächlich selten vorkomme. Mit der Feststellung, Andersartiges würde gefürchtet, wendet er sich an seine Mannschaft: Was habt ihr gedacht, als eine Heilpriesterin als Passagier an Bord kam?
Nach längerem Schweigen nimmt einer unter ihnen allen Mut zusammen: Zuerst habe ich mir überlegt, was man tun kann, damit sie wieder geht. Aber es passierte nichts. Sie stand nur da, betrachtete das Meer und sah uns bei der Arbeit zu.
Einige andere platzen heraus: Allein der Anblick einer Frau störte uns. Aber als dann Adonis ganz normal und immer wieder mit ihr sprach, gewöhnte man sich an die Zuschauerin. Als sie dann aber Hanno das Leben zurückgab, wurde sie eine von uns. Sie wird es immer bleiben!
Der Nachdruck läßt einen sonst ganz Stiller seinen Trinkbecher erstaunlich energisch abstellen. Alle blicken auf: Mich störte sie nicht. Ich war erschreckt. Aber als das erwartete Schreckliche nicht eintrat, fand ich mich ab. Jetzt gerade fühle ich mich wie an Bord. Marpesia geht auf die Bedienung genauso zu, wie auf uns an Bord. Und als die Götter dem Tun der Heilerin Gnade gewährten … Da verließ ihn sein Mut.
In die entstehende Stille setzt Adonis den Satz nach seinem Eindruck fort: Uns Laien scheint ihr während eurer Anwesenheit zu schrumpfen aber mit euern unerwarteten Taten wachst ihr ins Unendliche.
In Erinnerung an einen vorangegangenen Vorfall beginnt die ganze Mannschaft zu tuscheln. Hanno lacht schallend und steckt alle an: An euch sollte man sich besser nicht vergreifen. Nicht nur aus Furcht vor göttlicher Rache.
Der überraschten Tochter und der überaus neugierigen Enkelin schlägt Marpesia vor, Adonis könne mit dem Erlebnis ihrer Gäste den Heimweg verkürzen. Für Adonis hat nie die Gefahr einer Wiederholung bestanden. Sein Eindruck, Marpesia sei, trotz des Respekts, eine von ihnen geworden, bekräftigt zustimmendes Nicken. Nun wenden sich alle den vor ihnen ausgebreiteten Speisen und anderen Gesprächen zu.
Der Gedanke über den Respekt beschäftigt Adonis so, daß er erst spät einer großen Platte ausweicht, die gerade auf dem Tisch plaziert wird. Dabei fällt ihm auf, wie Recht der große Schweiger an Bord hat. Amazonen und Personal des Hans gehen unglaublich vertraut mit einander um. Er fragt Hanno, ob er nicht auch fände, die Betreiber des Hans könnten kaum Hellenen sein. In Erinnerung an Chios meint auch Hanno, ihre Gastgeber würden fast ehrfrüchtig bedient. Man könne merken, daß sie die Mutter einer Königin an Bord gehabt hätten. So wie an Bord, wendet Adonis sich an seine Gastgeberin: Ich bin schon mehrmals hier in Amisos gewesen. Doch ich habe noch nie eine Amazone getroffen. Nun stelle ich überrascht fest, daß die Betreiber dieses Hans keine Ellenes sind.
Erst an der Antwort Perithymones, die zwischen Mutter und Großmutter sitzt, bemerkt Adonis, daß sie und ihre Mutter ebenfalls wie selbstverständlich griechisch mit ihnen sprechen: Hier leben auch Leukosyrai, wie man jetzt zu ihnen sagt.
Adonis verwundert seine vormalige Begriffstutzigkeit: Leukosyroi habe ich schon gehört. Syroi kenne ich mit dunklerer Hautfarbe als Ellenes und Phoinikes. Die Menschen hier sind von uns und euch kaum zu unterscheiden. Das ist wohl der Grund weshalb die Siedler die Uranwohner “weiße Syrer” nennen.
Marpesia lächelt mitfühlend: Der Unterschied fällt sofort auf, wenn du mit einem von ihnen sprichst. Du hast mich doch sicher auch deshalb vom ersten Augenblick an als Amazon enttarnt. Doch das wird ab jetzt dein Alltag, immer wieder eine neue Sprache.
Ihre Tochter findet das Enttarnen nicht verwunderlich: Phoinikes sind ein Volk der Meere. Sie kommen viel herum und können vergleichen. Wir sind ein Landvolk. Ich hätte unsere Gäste zwar als fremd, jedoch nicht unbedingt als Phoinikes erkannt. Mit euch verband ich bisher Purpurhandel. Bis unsere Nachbarn in Kolchos mir kürzlich erzählt haben, daß sie die Schrift der Phoinikes benutzen. Bis dahin wußte ich nur, daß die Hellenes mit euren Zahlenzeichen rechnen.
Hanno erklärt, in Kolchis habe man die phönizische Schrift kennengelernt, bevor die Hellenen die Durchfahrt ins Schwarze Meer fanden. Sie inspirieren ihn, festzustellen, daß Meere, Landschaften und Gebirge bei “Entdeckern” Bilder auslösen. Entdecktes würde nach diesen Eindrücken benannt, wie beim Roten- oder Toten Meer. Die Phönizier hätten die skythische Bezeichnung für das Meer “Aksaena”, das „Schwarze“, treffend gefunden. Mit neuen Besuchern entstehen oft neue Namen. Die Hellenen machten aus “Aksaenasie” “Akzeinos”, das “Ungastliche”. Diesen Eindruck könnten die Phönizier nicht teilen. Bei ihren Besuchen machte Aietes, der König, sie mit den Produkten seines Landes bekannt. Für den Wein und besonders für die Metalle fielen ihnen viele Abnehmer ein. Bald reisten fast regelmäßig phönizische Schiffe nach Kolchis. In Hellas wurde man aufmerksam. Statt wie bisher Pophryra und Kedros, wie man dort zu Purpur und Zeder sagte, hatten Phönizier plötzlich Metalleion im Angebot. An Metall reizte den Westen besonders Chrysos, also Gold. Schiffe aus dem Hafen Pagasai hatten auf ihrer Fahrt nach Troia phönizische Schiffe im wenig befahrenen Hellespont beobachtet. Dort hinein sandte man eine Expedition mit Jason auf der Argo.