Marpesia erinnert sich, Jason war einige Zeit in aller Munde. Er hatte Kolchis tatsächlich erreicht. Die Besatzung der Argo wurde gastfreundlich empfangen. Die ganzen Küste geriet in Aufruhr, als bekannt wurde, an Bord der Argo sei neben Aietes Tochter auch geraubtes Gold. Zu Medeia hatten die Amazonen eine enge Beziehung. Die berühmte Heilerin war mit ihrem erstaunlichen Wissen über Heilkräuter und Heilmethoden Vorbild für die Amazonen. Für Hanno war Medeia genauso wißbegierig wie Adonis. Hätte sie Jason sonst in die Fremde begleitet? Aber vielleicht half er nach? Vieleicht wollte er von ihrem Wissen über die Schätze der Erde profitieren?
Ihre Ankunft sprach sich jedenfalls wie ein Lauffeuer herum. Menschen fürchten alles Unbekannte. So betrachtete man die ungewöhnliche Frau als Hexe. Wo sie hinkam, wandte sich fast jeder ab. Das Gerücht kam auf, sie habe Jason verführt, das Gold zu stehlen. Für keine der Amazonen ist sie freiwillig gegangen. Den bereits erfahrenen Jason hinderte der Diebstahl, auf eine weitere Fahrt geschickt zu werden. Man wählte Herakles, der bei ihm gelernt hatte, weil er in Kolchis noch nicht bekannt war. Wahrscheinlich aber setzte sich das mächtige Mykene gegen Iolkos durch.
Beim Namen Herakles zuckt Melanippe innerlich zurück. Er hatte zu großes Leid über die Amazonen gebracht. Als er Hals über Kopf floh, ließ er Autolykos, Deileon und Phlogios in Sinope zurück. Die kamen erst wieder mit Theseus nach Haus. Theseus war von Athen als Nächster gesandt, Reichtümer zu gewinnen. Er kam ebenfalls nicht bis Kolchis. Ihn zwang der Raub der Hippolyte zu übereilter Flucht. Die Amazonen verfolgten ihn bis zur berühmten Belagerung von Athen.
Auch Theseus hatte bei den Amazonen einen anderen Ruf als im Westen. Hanno pflichtet bei. Er findet, auch auf Kypros müsse Theseus ähnlich gesehen werden. Schon bei Ariadne habe er nicht unbedingt Charakter bewiesen. Doch wenn er Autolykos in Sinope begegnet sei, könne dort nur beider Lager beim Angriff auf die Amazonen gewesen sein. Die Flucht der beiden im Westen verehrten Heroen wurde in ihrer Heimat mit dem Ruf des Pontos Akzeinos als einem tiefen und kalten Meeres zwischen den barbarischen Kolchis, Thrakien, und Skythien begründet. Besonders gefürchtet waren die eisigen Stürme, die es aufwühlten. Den bekanntesten, den Boreas thrakios, hatten ihre Besucher gerade bezwungen. Die Zeugin des Meisterstücks konnte das Geschick auf dem Meer nicht genug rühmen. Ihr und der Mannschaft klingen die Erzählungen über die Abenteurer der Heroen zu verklärend.
Auf der Suche nach einem Grund, stellt Hanno fest, wer aus einer geheimnisvollen Welt keine Reichtümer mitbringt, will wenigstens für seinen Mut bewundert werden. Im Westen wurde über die Schrecken der Natur und die Völker im Osten phantasiert. Im Verhältnis zur hochstehenden westlichen Kultur sind Barbaren natürlich rückständig. Die Kaufleute hatten nichts gegen diese Märchen. Je exotischer die Waren vom Pontos wurden, umso mehr ließ sich herausschlagen.
Melanippe stellt einen weiteren Unterschied heraus. Im Westen erlaubt das Mittelmeer, Handelsgüter in Massen auf Schiffen zu transportieren. Die Steppen und Berge hier wären nur mit Last- oder Reittieren zu durchqueren. Adonis müsse auf seiner beabsichtigten Reise sogar durch Wüsten. Eine alte Karawanenstraße aus dem Osten ende in der Stadt, an der ihre Gäste gerade vorüber gesegelt waren. In Sinope würden Fische aus den pontischen Gewässern angelandet. Die Menschen im Westen verzehren viel Fisch. Gesalzener Fisch war schon lange die Speise armer Leute. Die Innereien der Fische vergor man zu Garos, einem der beliebtesten scharfen Gewürze. Die Kosten sind so gering, daß der Transport sogar bis nach Athen lohnt. So sei Sinope an ihrer Küste der erste Hafen geworden, in dem griechisch gesprochen wurde.
Der durch Wüsten aufgeschreckte Hanno findet, eine Wüste sei für die meisten Kapitäne aus dem Westen auch das Schwarzen Meer. Der Mangel an Inseln und die wenigen Anhaltspunkte der Küstenlinie der östlichen Ufer sei fürs Navigieren unübersichtlich. Die Regel waren Küstenschiffer. Sie reisten an der Nordküste Bithyniens entlang, bis ihnen das Kap mit Sinope in die Augen sprang. Händler aus Milet hatten Einnahmemöglichkeiten erkannt und ließen sich dort nieder. Mit Schiffen konnte man die von Überfällen bedrohten Karawanen durch barbarische Länder ersetzen. Findige Räuber verlegten sich darauf auf Piraterie. Für einen sicheren Handel wurden weitere Stützpunkte nötig.
Um Bewohner für Niederlassungen am Schwarzen Meer zu finden, nannte man im Westen das “ungastliche Meer”, den Pontos Akzeinos bald in Pontos Euxenios, “gastliches Meer”, um. Nach und nach entstanden im Abstand von Tagesrouten Zwischenstationen in Kalpeia, Herakleia Pontika und Kytoros. Damit ist es auch dem ungeübtesten Küstenfahrer möglich, Sinope zu erreichen. An den unheimlichen Osten erinnert nur noch Herakleia. Hier soll Herakles in die Unterwelt hinabgestiegen sein.
Der Pontos liegt nicht im Brennpunkt der Geschichte. Aber die Schätze, die seine Erde birgt, reizen den Westen, besonders Eisen, Kupfer, Silber und Gold. Hochentwickelte westliche Bergtechniken sollten den uralten Bergbau von Kolchis effektiv machen. In Phasis endeten auch Karawanen aus dem goldenen Baktrien. Sinope sicherte die Strecke nach Phasis mit Amisos, Kotyora, Kerasos, Trapezous und Bathys. Marpesia erinnert die Aufzählung der Häfen an den letzten Periplous, einen hellenischen Wegweiser für Kapitäne und Reisende. Aus ihm weiß sie, daß der hellenische Autor außer Distanzen und Hinweisen zur Navigation im Süden Leukosyrias die Bergzüge des Olgassys und im Osten den waldigen Paryadres erwähnt. Woher soll er vom angrenzenden Galatia, von Kappadokia und Armenia wissen. Die Besiedlung beschränkt sich auf Küstenstädte. Deren Einfluß auf das Umland ist zu gering, um es auf einfache Art kennen zu lernen.
Das wasserreiche Land um den Thermodon herum habe die Amazonen gereizt, sich niederzulassen, erinnert sich Melanippe. Das Klima ist mild, Getreide, Wein, Oel, Nüsse, Kirschen, Holz, Hanf, Leinen, aber auch Schafe und Pferde gedeihen. Diese Fruchtbarkeit blieb auch dem Westen nicht verborgen. Sie versprach unermeßliche Gewinne, besonders, wo der Krieg zwischen Athen und Sparta Lebensmittel rar und teuer machte. Obendrein wurden die hellenischen Schiffe für den Krieg gebraucht. Adonis und Hanno geben zu, von dem Wahnsinn zu profitieren. Ihre Rückfracht bestehe aus einer Ladung Getreide.
Schließlich geht Marpesia für Hanno noch auf das Hinterland ein. Sie schildert Burgen des persischen Adels. Der seine Macht über die Dörfer mit Priestern der Tempel mit ihren ausgedehnten Ländereien teilen muß. Vom berühmtesten Tempel, Komana, habe er vielleicht schon gehört. Er läge in Kappadokia, das in Syria Katpatuka genannt würde. Im Westen unterscheide man nicht, dort seien alle Leukosyroi. Hellas weiß wirklich wenig über seine Kolonien und ihr Umland. Für die Amazonen sei aus dem Westen bisher kaum etwas Gutes gekommen.
Es ist sehr spät geworden, als Perithymone noch wissen möchte, ob Adonis gut reiten könne. Adonis hat bisher nur auf Kamelen gesessen. Perithymone findet, auf einer so langen Reise sei das Reiten auf einem Kamel etwas anderes als auf einem Pferd. Amazonen würden für die von Adonis geplante Reise Pferde vorziehen. Mit dem Kamel habe er zumindest eine Grundlage. Den Umgang mit Pferden würde er vor seiner Abreise noch lernen. Den Hinweis auf den Abschied begleitet die Mannschaft mit dem Hallo, das sie sich die ganze Zeit verkniffen hatte. Nach vielen Umarmungen und Versprechungen begleiten Adonis und die drei Amazonen die Schiffsbesatzung wieder in den Hafen zurück und lösen die amazonische Wache ab. Alle sind müde und schlafen sofort ein. Nur Marpesia und Hanno ist etwas mulmig wegen Adonis Absicht.